Ein Senffinger-Krimi

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Im beschaulichen Senftenberg in der Lausitz wurden in der Nacht zu neulich sieben Leichen säuberlich nebeneinander vor dem Gasthof „Zum Senfsahnehäubchen“ abgelegt. Nachtwächter Jens Tenberg alarmierte sofort die Polizei, als er frühmorgens gerade seine Schicht beenden wollte und die Toten entdeckte. Danach legte er sich neben die frisch Verblichenen und machte ein Selfie. „Irgendwie liegt hier Senfduft in der Luft“ dachte er noch bei sich und schlief ruhig ein.

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Frau Dr. Roetker geleitete die Kriminalbeamten in den Saal 1 der Gerichtsmedizin. Die Spurensicherung, dargestellt durch die Beamten Willi Wuschig und Fred Fussel, hatte mal wieder nichts von Interesse gefunden. Nun kam es auf die Fähigkeiten der Ärztin an, die eigentlich als Gerichtssachverständige für Proktologie arbeitete. „Aber die Forensik nimmt ja heute, wen sie kriegen kann, also Finger ausm Po und ran an die Arbeit“ dachte Anneliese Dr. Roetker (Künstlername) bei sich. Dann trug sie vor:

„Sieben der Opfer haben eine Gemeinsamkeit, jeweils fünf Mißbildungen an jeder Hand: Digitus Crassus – WURSTFINGER. Und ausnahmslos sind diese sieben nach der Einnahme von Senfgift gestorben. Bislang habe ich keine Hinweise auf gewaltsame Zuführung gefunden; fest steht: Die mutmaßlich unfreiwillig Dahingegangenen gingen alle etwa zur gleichen Zeit dahin, bis auf einen, Nr. 8, der war noch sehr frisch.“

Dr. Roetker machte eine fehlerfreie Kunstpause. 

„Bemerkenswert ist, daß jeder der Sieben mit Digiti Crassi Spuren von Senf an den Fingern trägt. Die Ani sind hingegen vollkommen frei von Senf, das habe ich genau überprüft.“

Dieser Kriminalfall ging sogar dem erfahrenen Routinier Ernst-Günther Mostrich, Hauptkommissar und Leiter der Mordkommission Senftenberg, persönlich nahe. Gedankenverloren lutschte der Kommissar am Mittelfinger. Dann kam er wieder zu sich: „Bautzen, ganz eindeutig“. Noch schmatzend legte er die Hand des siebten Mordopfers auf den Sektionstisch zurück. „Der Fall hat sein ganz eigenes Aroma“ stellte sein Stellvertreter betreten fest: Senf-Peter Kühne, Oberkommissar, Stammgast im „Zum Senfsahnehäubchen“.

„Gut, dann bitte schnell die kompletten Obduktionsberichte direkt an mich“ herzte der Kriminalhauptkommissar die kräftig gebaute Doktorin an. „Und die MK gleich auf halb acht im Besprechungsraum – pünktlich! So, vorher brauche ich noch einen Kaffee.“ Die Beamten der Mordkommission setzen sich in Bewegung. Da stoppte Senf-Peter Kühne abrupt an Sektionstisch 8, Kriminalassistentin Brigitte Habersaat – Mostaza konnte nicht mehr bremsen und lief Kühne ins Heck. „Den kenn ich doch!“ rief der Vize aufgeregt, „das ist doch unser städtischer Nachtwächter, der Jens!“ „Mein Gott ja, er ist´s … so ein netter, freundlicher, pflichtbewußter Mann, immer für die Menschen da! Welche Bestie macht so etwas?“ stöhnte Kriminalwachtmeister Siegmund Saitling, der bisher still vor sich hin gegrübelt hatte. Sein Blick war auf den Oberkörper des Leichnams gefallen: „...aufgeschlitzt und zugenäht...diese Bestie….“ murmelte Saitling leise und trottete mit den anderen kopfschüttelnd davon.

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Im Besprechungsraum begann Mostrich die Ermittlungsaufgaben zu verteilen. „Das Kommissariat Zentrale Dienste hat inzwischen alle Personalien und schnell verfügbaren Daten zu den Opfern ermittelt, außer zu Opfer Nr. 8.“ „Es ist Jens Tenberg, der getreue Nachtwächter“ fiel Saitling ein. „Gewiß“ versetzte ihn Mostrich, „aber in der Stadtverwaltung Senf Tenberg, pardon, Senftenberg, existiert keine Personalakte von ihm, jedenfalls wurde bislang keine gefunden. Nun keine Unterbrechungen mehr!“ Der Hauptkommissar fuchtelte mit einer Bockwurst, die er zuvor tief in ein Glas Bautzener Senf superscharf getunkt hatte. „Also, die sieben Wurstfinger-Toten sind allesamt Redakteure der Zeitschrift „Senflust“ - besser leben mit mehr Senf“ - das ist womöglich der Schlüssel zum Täter! Mehr Redakteure hat das Blatt gar nicht, es ist also quasi ausradiert. Wer könnte das wollen?“ Kriminalassistentin Brigitte Habersaat – Mostaza machte sich Notizen. „Öchöm“ setzte sie an, „wenn ich mal meinen Senf dazugeben dürfte, hihihi, ...wir sollten baldigst unser Elektronengehirn Telefunken TR4 befragen, ich habe schon ein paar Such- begriffe für unsere Leute von der Datenstation zusammengetragen.“ Sanft strich sie sich Senf sauber aus den Haaren und blickte ihren Vorgesenften (kleiner Scherz des Autors) an. „Gute Idee, erledigen sie das und fassen das Wesentliche bis morgen früh zusammen, wichtige Erkenntnisse sofort an mich. Saitling, sie werten sämtliche „Senflust-Magazine“ der letzten fünf Jahre aus, fangen sie gleich an.“ „Gern, aber womit? Ich meine, woher nehmen?“ fragte der Kriminalwachtmeister verunsichert. „Nun ähm, ich bin Abonnent...“ preßte KOK Kühne nuschelig hervor und zog sich eine Tube Löwensenf extrascharf aus der Nase. Er schnüffelte oft daran, um seine Konzentration zu schärfen. „Ich rufe gleich meine Frau Senfine an, damit sie die Ausgaben zur Dienststelle bringt.“ Ernst-Günther Mostrich zwinkerte seinem Stellvertreter zu. „Gut, ich sehe, die Ermittlungen laufen bald auf Hochtouren. Kühne, sie fahren an die Ostseeküste nach Ostrock und überprüfen die dortige Möwensenffabrik, ich nehme mir die Senfindustrie in Bautzen vor. Alles klar? Dann los! Ich erstatte inzwischen dem Dienststellenleiter Bericht!“ Kraftvoll biß der Alte in seine Bockwurst.

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bautzen senfIhm war nie ganz wohl dabei, wenn er, der Routinier und Leiter ungezählter Ermittlungsschlachten,beim jungen „Schnösel“ (Mostrich) zum Vortrag antanzen mußte; dem erst 30jährigen Kriminalrat Thomy Kraft-Futz, der immer meinte, alles besser zu wissen. Nachdem er das Senfglas ausgeleckt hatte, kräftigte er sich mit einem Schluck Nordhäuser-Doppelkorn-Wurstwasser und begab sich zum Büro des juvenilen Despoten. Die Bürotür stand halb offen. „Kommen sie herein“ mißklang die Falsettstimme des „Allmächtigen“ (Mostrich). Der MK-Leiter gab sich einen Ruck, tupfte sich etwas „Bautzener“ hinter die Ohren und betrat das Gemach der Macht. Dann trug er ohne Pause den Sachstand vor.
Der Kriminalrat knurrte immer wieder leise wie eine halskranke Katze vor dem Stimmbruch. Sagte nichts. Tippte gelegentlich frisch pedikürt auf die Glasplatte seines enorm großen Schreibtisches. Bot keinen Stuhl an. Betrachtete seinen Siegelring. Erschöpft wartete Ernst-Günther Mostrich auf ein Wort. „Nun.“ Mostrich blickte auf drei sauber gerahmte Portraitfotos an der Wand hinter dem „Ekel von Senftleben“ (Mostrich). Es handelte sich um den Ministerpräsidenten nebst Gattin und – darüber – ein unretuschiertes Großbild der Bundeskanzlerin. Er spürte eine Zuckung seiner oberen Verdauungsorgane. „Ihre Senfgurkentruppe hat beim letzten Tötungsdelikt drei Monate zur Aufklärung benötigt, ich gehe davon aus, daß sich das nicht wiederholt.“ „Wenn ich sie jetzt schon besenftigen kann“, der KHK unterdrückte einen Würgereiz, wir haben bereits eine Motiv-Hypothenuse und einige Hinweise, es wird….“ „Dann sehen sie zu, auf Wiedersehen!“ fuhr ihm der Kriminalrat über den Mund. Ernst-Günther Mostrich fokussierte seinen Blick oberhalb des Kopfes seines Vorgesetzten, um nicht in dessen „Votzenfresse“ (Mostrich) schauen zu müssen. Wie erstarrt glotzte er auf die „Maulscharten“ (Mostrich) der Bundeskanzlerin: „Dürfte ich ausnahmsweise ihren persönlichen Abort nutzen?“ stieß er mühsam hervor, „ich habe…. Mir ist...“ „Keine Details, an die Arbeit!“ befahl Kraft-Futz und zeigte zur Tür. Der Altfahnder schaffte es zur nahegelegenen Chef-Toilette, riß die Verriegelung auf und kotzte die nicht eben kleine Kloschüssel bis zum Rand voll. Im Luxus-Lokus weilerte nun ein Tümpel aus 6 anverdauten Bockwürsten (die großen von ALDI), Senf, Doppelkorn und Wurstwasser...

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Am Tag nach den Morden kam die MK wieder zusammen, nachmittags im Besprechungsraum. Habersaat-Mostaza besprach gerade eine Nackenwarze des Kollegen Kühne („anschließend schön mit Senfsalbe einreiben!“) als der Chef eintrat. Kühne hatte nichts herausgefunden, auch die Senfindustrie in Bautzen – pieksauber. Saitling hatte erst zwei Jahrgänge „Senflust“ geschafft. TR 4 arbeitete noch. Alle freien Kräfte wurden von Mostrich zum „Klinkenputzen“ verdonnert, irgendwer mußte doch etwas von der Anlieferung der Toten bemerkt haben. Nebenbei konnte man Haustürgeschäfte abwickeln, um den kärglichen Sold aufzubessern. („Ihre Haustüre ist nicht sicher. Ich habe sie soeben ungehindert mit Senf beschmiert. Zufällig kenne ich ein senfabweisendes Spray, ein Produkt aus dem Hause...“ KOK Kühne gab einfach nicht auf.)

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Ein neuer Tag brach an. TR4 war fertig, hatte ein paar Daten ausgeworfen und war danach ein für allemal abgeraucht. Saitling war fertig mit der Auswertung und wußte nun alles über Senfsorten und Senfdiäten. Die Befragung der Anrainer des „Senf- sahnehäubchens“ hatte nichts erbracht. KOK Kühne trug einen Kopfverband: auf seinem Schädel hatte jemand ein Senfglas zerschlagen. Brigitte Habersaat-Mostaza schlug vor, Saitlings Extrakte mit dem TR4-Auswurf abzugleichen- der Chef stimmte zu. „Vorher gemeinsames Weißwurstzutzeln mit bayrisch Senf, das stärkt den Teamgeist“ ordnete er an. Stunden später, nach vier Wurstpackungen, quoll es aus dem Hauptkommissar hervor: „Ich habe einen Verdacht. Aufgrund einer Eingebung.“ Dann rülpste er und schlief ein. Die Kriminalassistentin, gegenüber voll im Rachenwind sitzend, fiel wortlos vom Stuhl. KOK Kühne ordnete Vertagung an. Aus seinem Kopfverband sickerte Senf und blutwurstfarbener Schaum.

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„Jawoll, ich denke, wir haben ihn!“ Saitling trumpfte auf, er war quasi ganz aus dem Döschen. „Mein Austausch mit Brigitte hat glasklar einen Verdächtigen ergeben.“ Ernst-Günther Mostrich schien geistesabwesend, er hatte sich mit einer halben Flasche Nordhäuser-Doppelkorn gestärkt und starrte auf die obere Hälfte von Birgit Habersaat- Mostazas Strickpulli und ihm fiel auf, daß sich diese gar nicht mal übel wölbte. In diesem Moment dachte er „du mittelscharfes, kleines Stück….“ Dann unterdrückte er entweichenwollende Luft in seinem Oberkörper. „Der Täter ist bzw. kann nur sein… … Monsieur….

Jean-Jaques Dijon !!“

Der Kriminalwachtmeister hielt inne und schaute bedeutungsvoll in die Runde. „Jean-Jaques Dijon - „der verdammte Mustard…. Äh Bastard!“ stöhnte der MK-Leiter, „Auslöser der Senf-Krise ´77 …. er hatte Essich-Käfer weltweit in die Senf-Plantagen eingebracht und an der Börse auf die Verknappung spekuliert… seinerzeit wurde die Organisation „Senf für die Welt“ gegründet – von IHM! Noch mehr Zaster gemacht! Wäre er nicht Jahre später auf eine wandernde Wunderheilerin hereingefallen, die vorgab, ihn von seiner Senfsucht kurieren zu können, er wäre heute noch reich. Den Rest soll er beim Pfennig-Skat verballert haben. In den 90ern hat er versucht, ALDI-Ost zu erpressen, indem er hier und dort übel- schmeckende Substanzen in die ALDI-Ost-Senftuben injizierte. Doch als er seine Geldforderungen stellte, haben die nur gelacht… es hatte sich noch kein Kunde beschwert. In den 2000ern soll er als Folter-Söldner für Senfwater im Irak gearbeitet haben, er hatte eine ganz spezielle Verhörmethode entwickelt: das „Senfen“. Dem liegenden Opfer wurde ein feuchtes Handtuch über das Gesicht gelegt und der Bereich der Nasenlöcher langsam mit Senfsoße beträufelt, nach seinem Geheimrezept. Der Verhörte bekam so das Gefühl, allmählich an Senfsoße zu ersticken und in der Regel, gestand er, was Dijons Auftraggeber sich ausgedacht hatten. Dann verlor sich seine Spur...“ „Da fällt mir etwas ein“ rief Kühne halblaut in die Runde. Vor circa 6 Monaten hat ein gewisser Johann-Jakob Develey den Gasthof „Zum Senfsahne- häubchen“ als Pächter übernommen, wenn ich an sein Gesicht denke, mit dem langen Riechkolben, und unsere Lichtbilder von 1977 betrachte, dann könnte er es sein, nur gealtert natürlich. Außerdem: vor etwa einem Dreivierteljahr, das kann Saitling bestätigen, verriß die gesamte Redaktion der „Senflust“ in sieben Artikeln die neue Senf-Kreation „Dijon-Dujardin-de-Danton“. Den Schöpfer verschwieg man aus „Gründen der Pietät“. Ein Foto in dieser Ausgabe zeigt dabei den dickbäuchigen Chefredakteur, der seinen markant fetten Wurstzeigefinger ablutschte und den Leser hinwies, es ginge doch nichts über den guten, alten „Bautzener mittelscharf.“ Es paßt alles zusammen. Er hat die gesamte Redaktion ausgelöscht. Wahrscheinlich hat er sie zu einer Verkostung in seinen Gasthof eingeladen, die waren ständig zu irgendwelchen Senf-Verkostungen eingeladen, meist gab es da für jeden ein halbes gegrilltes Schwein dazu.“

„Es geht los“. Mehr mußte Hauptkommissar Ernst-Günther Mostrich nicht sagen.

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Der Chef warf sich auf den Fahrersitz des 82er senf-ockerfarbenen VW Jetta CL und versuchte, zu starten. Es war der verbliebene Dienstwagen der MK nachdem vor vier Jahren der TÜV die BMW-Isetta beschlagnahmt hatte. Die Kriminalassistentin hatte neben ihm Platz genommen, es war ein schwüler Nachmittag, den Strickpulli warf sie lässig auf die Hutablage, wo ein paar Akten vor sich hin gilbten. Die verdammte Schachtel sprang nicht an.

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Kühne und Saitling hatten sich entschlossen, die etwa 150 Meter von der Dienststelle zum Gasthaus im Dauerlauf zurückzulegen. Schnaufend gelangten sie an die Eingangstür, Kühne wäre fast der Leberkäse aus der Mittagspause hochgekommen: „Heute Ruhetag“ - die Tür war verschlossen. Kriminalwachtmeister Siegmund Saitling griff behende an seinen Dienstgürtel, dorthin, wo sich der Getränkehalter befindet. Er zog eine Dose „Pottkieker – Graupensuppe mit Germ- klümpchen“ heraus. Die hatte er im Einsatz immer dabei, denn man wisse ja nie, ob man nicht doch eines Tages mal von den eigenen Linien abgeschnitten würde. Dann schleuderte er die Dose durch das Fenster des linken Türflügels und griff durch die neu entstandene Öffnung ans Schloß. Er stellte fest, daß der Schlüssel nicht von innen steckte.

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Inzwischen war die Batterie leergenudelt, sie war vermutlich von Anfang an zu schwach gewesen, man müßte überbrücken, um dem Anlasser genügend Schwung zu verleihen. Mostrichs Blick fiel auf den Chefparkplatz direkt neben der Haupteingangstür: Dort parkierte Kraft-Futzens nagelneuer Tesla... Dann fiel sein Blick abermals auf die deutlich hervorstehende Brust seiner Untergebenen. Er hatte zwischendurch in Gedanken ihre Nippel mit süßem bairisch Senf eingeschmiert. „Ich könnte mich für ihre Beförderung zur Kriminaloberassistentin einsetzen“ hörte er sich leise murmeln. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte sie beklommen.

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„Dann muß es mit roher Gewalt gehen“. Saitling nahm reichlich Anlauf und flog in einer selten gesehenen Kung-Fu-Haltung gegen die Eingangstür der Wirtschaft – sie sprang auf. KOK Kühne war begeistert, „Mensch Siggi, aus dir wird noch was!“. Er trat in den Vorraum und blickte sich um. Saitling lag bewußtlos im Eingangsbereich. Sein Kollege rollte ihn vorsichtig nach draußen, in Sicherheit. Der Chef und Brigitte waren immer noch nicht da. „Dann eben im Alleingang“ - Senf-Peter Kühne nahm all seinen Mut zusammen. Er durchsuchte eilig die Gasträume, den Thekenbereich und die Klos; niemand zu finden.

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KHK Mostrich hatte schon als Praktikant gelernt, wie man nahezu spurlos Autos aufbricht. „Wenn man keinen Durchsuchungsbeschluß hat, muß man sich eben zu helfen wissen“ war einer der 10 ewigen Lehrsätze seines Ausbilders, Kommissar Eduard Schnackenkemper, gewesen. „Ja, der alte Ede, von der alten Schule. Die wußten noch wie´s geht“ schwelgte er und Brigitte Habersaat-Mostaza stimmte ihm kopfnickend zu. „Und dich kleine Krimi-Mimi hätte er längst flachgelegt“ fügte sein Hirn still und leise hinzu. Der Jetta rumpelte Richtung Gasthof, die Tesla-Batterien hatten ganze Arbeit geleistet. Die Überbrückungskabel hatte Mostrich wieder in den Kofferraum des Boliden gelegt. Es roch etwas komisch, ein wenig nach angeschmortem Plastik. Es war eilig, sie mußten los.

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„Der Keller“ schwante es ihm. Als Stammgast war ihm vor Jahren einmal eine Führung in den „Heiligen Gewölben“ der alten Wirtschaft zuteil geworden. Die Treppe ging gleich in den Hauptraum, dort lagerten seinerzeit die Senffässer. Als der Kriminaloberkommissar die Stufen hinabeilte, ahnte er schon, was er dann sehen mußte: Jean-Jaques Dijon oder Johann-Jakob Develey stand auf einer Leiter, den Rücken zur Treppe gewandt und rührte mit einem riesenhaften Paddel in einem mächtigen Kessel, worin Senfsoße köchelte. „Schlubb-Schwupp, blubber-di-blubb, Mostrich-Supp, hoppla-di-hupp!“

krächzte es aus der gebeugten Gestalt am Kessel. Dann zog sie den Rührschlegel aus der sämigen Masse und wandte sich langsam um. Die Situation war gekommen.

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Der Chefermittler trat das Bremspedal voll durch aber es tat sich nicht viel. Siegmund Saitling war gerade zu sich gekommen, als er von der Frontstoßstange eines alten VW Jetta gleich wieder ausgeknockt wurde. Die Kriminalassistentin stürzte aus dem Dienstwagen und kümmerte sich sofort um ihn. Leider war der Verbandskasten auch von 1982 und ging nicht auf. „Ich muß rein, ich darf Kühne nicht alleine lassen“ schrie Mostrich nervös und rannte ins Gebäude. „Ich komme sofort nach“ brüllte Habersaat-Mostaza, inzwischen hektisch, ihrem Vorgesetzten hinterher. Sie holte den Pulli aus dem VW, zog ihr Shirt aus und ihre Cordhose, knüllte alles zusammen und bettete den zerbeulten Kopf ihres am Boden liegenden Kollegen darauf. Als sie sich erhob und zur Eingangstür schritt, hörte sie Sirenen. „Feuerwehr?“

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Er griff zum Holster doch statt seiner dienstlich gelieferten Walther PPK zog er etwas hervor, was ihm sogleich wieder aus der Hand flutschte. Er hatte aus der Kantine wie üblich eine Reserve – Bockwurst mitgehen lassen samt Senftütchen, welches zwischenzeitig geplatzt war. Dijon grinste ihn an. Kühne griff in die Tasche für Reserve-Munition, doch hierin, er hatte es jetzt befürchtet, befanden sich weitere Kantinen-Kleinodien; Zahnstocher, Salzpäckchen, Erfrischungstücher. Und den Teleskop-Schlagstock hatte er neulich beim Pfandleiher versetzt. Er glotzte Dijon verdutzt ins Gesicht. Wo, zum Teufel, hatte er nur wieder seine Dienstwaffe liegengelassen?

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Nach wenigen Minuten hatte Ernst-Günther Mostrich die Kellertür entdeckt und eilte die Stufen hinunter. Das Bild, das sich ihm bot, brannte sich in sein Gehirn ein wie Senfgas ins Gewebe: Kühne lag bewußtlos auf dem Rücken vor einem blubbernden, zischenden Kessel, in einer großen Lache Senfsoße. Daneben eine umgestürzte Leiter, die er, der Spurenlage nach ausgerutscht und gestürzt, am unteren Ende mit dem Kopf getroffen haben mußte. Vom Rand des Kessels tropfte Blut und eine Pantoffel ragte hervor. Der Chefermittler stellte die elektrische Kesselplatte aus und nahm sich einen herum- stehenden Tritt. Auf der heißen Senfsauce schwamm die andere Pantoffel. Und eine Baskenmütze. Mostrich war gerade vom Tritt herunter, als Brigitte Habersaat-Mostaza die Szenerie betrat. Aus Richtung von KOK Kühnes Kopf, der aussah wie ein zermatschtes Senfei,
erklang ein leises Wimmern. Brigittes Büstenhalter war kein Trick-Gestell. Was Mostrich sah, war echt in seiner Fülle. Er mußte sich abermals eingestehen, daß ihre Brüste wunderschön waren und daß er sie begehrte. Zeit, Fred Fussel und Willi Wuschig zu verständigen.

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Der fabrikfrische Tesla des Kriminalrats war zu einem unkenntlichen schwarzen Klumpen aus Metall und Plastik verbrannt. Das Feuer hatte die halbe Front des Dienstgebäudes verrußt, ein Übergreifen der Flammen auf das Bauwerk konnte die Feuerwehr jedoch gerade noch verhindern. Thomy Kraft-Futz war wutschnaubend aus dem 2. Stock gestürzt. Noch während seines ersten Tages auf der Intensivstation versetzte er sich wieder in den Dienst und rief seinen Untergebenen, den MK-Leiter an. Er befahl, die Erfolgsmeldung, 8 Morde aufgeklärt zu haben, an die Pressestelle zu geben und formulierte selbst den Text – keine Rückfragen gestattet. Den Einwand Mostrichs, die Tötung des Nachtwächters sei nicht so ganz bis ins Detail geklärt, ließ sein Chef nicht gelten. Der aufgesägte Kopf, das in Scheiben geschnittene auffallend kleine Gehirn, der aufgeschnittene und wieder zugenähte Oberkörper sowie die Entnahme von Organen sei doch ein ganz anderer Modus Operandi als das applizierte Senfgift und weise eher auf die Chinesenmafia oder seinetwegen die Tschetschenen-Mafia hin, all dies wischte der Dienststellenleiter hinweg: „Machen sie die Statistik fertig, 8 aufgeklärte Mordfälle, 100% Aufklärungsquote, Punkt. Der Nachtwächter ist Dijon beim Ablegen der Leichen in die Quere gekommen, so muß es gewesen sein. Ende der Durchsage.“

Und Jean-Jaques Dijon konnte sich nicht mehr zur Sache äußern.

ENDE

Epilog

Am nächsten Tag befahl der Kriminalrat die Einrichtung einer SOKO zur Aufklärung des Brandanschlages auf die Polizeistelle und machte Mostrich zum Leiter. Brigitte Habersaat-Mostaza wurde Monate später zur Kriminaloberassistentin befördert und bekam daher 7 Euro und 32 Cent monatlich mehr Besoldung (brutto!). KOK Kühne wurde kommissarischer Leiter der MK. Durch seine schweren Kopfver- letzungen erkrankte er am Tourette-Syndrom und konnte keine Haustürbefragungen oder Vernehmungen mehr durchführen. Heimlich jedoch genoß er jeden Vortrag im Amts - zimmer des Dienstellenleiters. Saitling hört seit dem tragischen Dienstunfall Stimmen im Kopf und wurde zum Staatsschutz des LKA Brandenburg versetzt. Die Leiche aus dem Senfsoßenkessel konnte nicht mehr identifiziert werden, ein Zahnschema lag nicht vor und Fingerabdrücke konnten den zerkochten Überresten nicht abgenommen werden. 1977 hatte man noch keine DNS-Proben entnommen, Verwandte Dijons (oder Develeys) waren nicht bekannt. Die Zeitschrift „Senflust“ ist nie wieder erschienen. Der Nachtwächter wurde in einem anonymen Armengrab beigesetzt. Die Planstelle wurde ersatzlos gestrichen.